Land's End
Es soll ja Zeitgenossen geben, die denken, die gute alte Urlaubsinsel Rügen sei nichts als ein Spielplatz für Biedermänner
und -Frauen, womit sie ja nicht mal unrecht haben: zu hunderten stehen die Autos am Straßenrand, zu hunderten die
Sonnenschirme am Strand, Binz ein Einkaufsparadies, Geldmachmaschine, Kaffefahrtenbahnhof.
Andererseits ist es das Ostdeutsche Equivalent von Land's End, mit einer ähnlich langen Besiedlungsgeschichte wie die
südwestlichen Moore Englands. Hier gibt es zuhauf Grabhügel und Siedlungsreste, und eine unglaubliche Ressource an
Feuersteinen. Das natürlich interessiert den Biedermann nicht, und so hat man die Wiesen und Wälder, die alten Wege und
Plätze, wo man sich bemühen muss, hinzukommen, für sich alleine.
Man schaut dann in die Ferne und stellt sich vor, wie's denn wohl aussah, vor 4000 Jahren, vor 2000 Jahren, während der
Religionskriege und als die Dänen mit ihren Verbündeten versuchten, die lokale Bevölkerung in einer brutalen Schlacht zu
besiegen: 3500 Mann fielen in der Schlacht auf beiden Seiten, heißt es.
Nach Faschismus und Antifaschistischem Faschismus wurden dann die blühenden Landschaften ausgerufen, im Falle Rügens über
die Sommermonate mit Stau durchsetzt. Da sitzt man dann, am Strand der Ostseepampe, sucht sich dann einen anderen Strand
mit noch mehr Ostseepampe und denkt sich dann: Rügen liegt mir am Herz vor allem wegen seiner Hügel-und Waldandschaften,
seiner
Kulturgeschichte, und den Überlebenden, die an allen Ecken und Enden darum kämpfen, sich in dieser Umgebung mit einem
'normalen' Job über Wasser zu alten, die es verabscheuen, ihre funktionierende Händlerwirtschaft an Aldi, Netto, Lidl,
Extra und Penny, alle jeweils in einem Ort versammelt, abzugeben. Stiller Ungehorsam, das,
mit viel Energie, Standhaftigkeit und Liebe fürs Land verbunden.
So. Da steh ich an der Steilküste, und das wars. Hier ist die Oder endgültig vom Seewasser zu nichts verdünnt.
Jetzt, nach einem kleinen Abstecher zur Müritz (weils da so genial schön ist)
geht es weiter Richtung Oderbruch, auch so eine ganz spezielle
Geschichte, und dann, wie versprochen, wieder der Oder entlang. Vielleicht find ich ja ihre Quelle. Vielleicht aber auch
was ganz anderes. Wer kann das schon vorhersagen?
Posted by Andre Schröder (Koch in Prora) on 2006-08-29 18:43:22 | #33
Deine Gedanken sind schillernd bunt, wie Seifenblasen könnte man meinen, nur ist in ihnen keine Leere sondern eine tiefenpfundene Menschlichkeit, die in der Landschaft den Menschen sieht - sein Leben, seinem von Bauch-Intelligenz getragenen Kampf ums Dasein. Gefällt mir gut.
Andre
P.S. Was verstehst Du unter antifaschistischen Faschismus?